D. Manova: »Sterbende Kohle« und »flüssiges Gold«

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Titel
»Sterbende Kohle« und »flüssiges Gold«. Rohstoffnarrative der Zwischenkriegszeit


Autor(en)
Manova, Dariya
Erschienen
Göttingen 2021: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
356 S., 6 Abb.
Preis
€ 41,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Baumert, Montanhistorisches Dokumentationszentrum, Deutsches Bergbau-Museum Bochum

Rohstoffdiskurse sind ein Thema, das bisher vor allem Politik- und Wirtschaftswissenschaften, Montan- und Geschichtswissenschaften beschäftigte. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive sind literarische Auseinandersetzung mit Rohstoffen und den ihnen eingeschriebenen Narrativen von Fortschritt bzw. Rückständigkeit noch wenig untersucht. Zugleich ist der Aufstieg von Auto und Flugzeug, der einen Bedeutungswandel von Kohle zu Öl einleitete, vielfach literarisch verarbeitet. An diesem Punkt setzt Dariya Manova mit ihrer 2019 an der Humboldt-Universität zu Berlin abgeschlossenen Dissertation »Sterbende Kohle« und »flüssiges Gold« an. Auf mehr als 300 Seiten zeichnet die Autorin anhand unterschiedlicher Literaturgattungen die Rohstoffdiskurse der Zwischenkriegszeit um Kohle, Öl, Kautschuk, Baumwolle und Radium nach: vom Theaterstück (S. 110–131) über den Abenteuerroman (S. 133–194) und verschiedene Autobiografien (S. 61ff. und S. 194–225) bis hin zum Sachbuch (S. 227–298).

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die explizit deutsche Erfahrung des Rohstoffmangels im Ersten Weltkrieg auf der einen (S. 27–58) und dem in Amerika zur gleichen Zeit vorherrschenden Ressourcenüberfluss auf der anderen Seite, der im westlichen erdölbasierten Kapitalismus mündet (S. 59–93). Als Symbol der Moderne und des Wohlstandes brachte die amerikanische Literatur den Rohstoff auf die Bühne. Henry Ford („Fordismus“) und Frederick Winslow Taylor („Taylorismus“) prägten nicht nur die Ökonomie der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, sondern beflügelten mit ihren ökonomischen Neuerungen ebenso die Literatur (S. 61ff.). Biografien über Ford, Rockefeller, Nobel oder Krupp waren in den 1920er-Jahren Bestseller. Gleichzeitig galt Erdöl den Literaten – im Gegensatz zur „dreckigen“ Kohle – als „saubere“, zukunftsweisende Ressource. Dabei hat Manova die Gleichzeitigkeit der sozialen Konflikte, die die industrielle Rohstoffgewinnung mit sich brachte mit Verweisen auf Autor:innen wie Upton Sinclair mit im Blick (S. 70f.). In diesem Kontext wirkte Deutschland mit seiner Fokussierung auf Kohle, besonders in der Deutung der Faschist:innen, rückständig. Diese beneideten zwar den Rohstoffreichtum der USA, beklagten aber zugleich die angebliche kulturelle Zersetzungskraft dieser „nicht organisch gewachsenen Wirtschaft“ (S. 74). Manova verweist hier indirekt auf eine Parallele zu rechten Ökonomievorstellungen, wie sie bis heute vertreten werden.

Das nächste Kapitel widmet sich Abenteuernarrativen, die Manova zuerst mit dem Thema Auto verbindet. Hierzu betrachtet sie den Zusammenhang von Automobil und Frauenemanzipation, zumindest für Frauen aus finanziell besser gestellten Kreisen (S. 133–160). „Der Boyfriend aus Metall“ (S. 142) zeigte neue Möglichkeiten der Selbstständigkeit. Die dargestellte Befreiung der Frau durch das Automobil nutzt Manova um heute wenig bekannte Autorinnen, wie Ruth Landshoff-Yorck, Clärenore Stinnes oder Annemarie Schwarzenbach, den Lesenden näher zu bringen. Gleichzeitig knüpft die Interpretation des Automobils als Motor der Emanzipation an ähnliche Thesen bezüglich der Verbreitung des Fahrrads im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert an.1 Die Frage nach individueller Mobilität und Freiheitsvorstellungen ist eine Frage, die sich auch im 21. Jahrhundert in der sich abzeichnenden Klimakatastrophe stellt. Gleichzeitig verweist Manova auf „die Fetischisierung des Autos“ durch beide Geschlechter (S. 146).

Der zweite Teil des Kapitels widmet sich vor allem zwei Autoren: B. Traven und Essad Bey. Traven, so Manova, lässt in seinen Romanen Das Totenschiff und Der Schatz der Sierra Madre neue Figuren entstehen, die nicht wie bei Jack London durch harte Arbeit zu Reichtum kommen oder wie bei Joseph Conrad aus Abenteuerlust das Schiff besteigen, sondern Sklaven der Rohstoffe und der damit verbundenen Kapitalmärkte sind (S. 172f., S. 183ff.). Der heute wenig bekannte Autor Essad Bey wiederum verband seine abenteuerlichen Schilderungen mit eigener Zeitzeugenschaft, auch wenn diese nicht immer plausibel erscheint (S. 204–210). Öl spielt in seinem literarischen Debut Öl und Blut im Orient zwar eine wichtige Rolle, ist aber eher der Rahmen und die Ursache für die von ihm beschriebene politische Veränderung in der Region und seiner Wahrnehmung von außen. An Bey wird aber die Entwicklung des Rohstoffnarrativs deutlich, da sein 1933 erschienener Roman Flüssiges Gold das Erdöl in den Fokus rückt und eine Biografie des Rohstoffes schreibt (S. 213–224). Manova arbeitet die Feinheiten der sich verändernden, sich um Erdöl drehenden Ressourcennarrative bei Bey heraus. Dabei verweist sie auch auf mahnende Töne des Autors, deren Relevanz bis heute besteht. So zitiert die Autorin eine Stelle, bei der er bereits auf die Umweltkosten hinweist, die bei der Gewinnung und Veredelung des Erdöls entstehen (S. 218).

Das vierte Kapitel widmet sich dem Sachbuch und seiner Rolle in den deutschen Rohstoffnarrativen. Als herausragend und deshalb zentral für ihre Untersuchung identifiziert sie Anton Zischkas Wissenschaft bricht Monopole aus dem Jahr 1936. Kein anderes Buch passte so gut zu den Vorstellungen des Nationalsozialismus in Bezug auf Ressourcen: Nach Zischka bricht die deutsche Wissenschaft das Monopol der rohstoffreichen Länder/Kapitalisten und führt Deutschland aus seiner Abhängigkeit zu nationaler Freiheit. Bezeichnenderweise erschien das Buch im Jahr der Verkündung des nationalsozialistischen Vierjahresplans, der zur Kriegsvorbereitung diente. Anhand von Zischkas Aufstieg zeichnet Manova das Entstehen „eine[r] neue[n] deutsche[n] Unterhaltungsliteratur“ nach (S. 266–298). Zischka, der vielfach plagiierte und Gespräche teilweise frei erfand (S. 268f.), schuf eine neue Variante des Sachbuches, die prägend für eine ganze Literaturgattung in Deutschland wurde und bis heute nachwirkt. Neben der Ich-Erzählperspektive zur „Humanisierung der Rohstoffwelt“ (S. 275) ist es die Vermengung wissenschaftlicher, politischer und historischer Erkenntnisse mit reißerischen unbelegten Behauptungen im Stil eines „rasenden Reporters“ (S. 279). Dass diese die Wirtschaft thematisierenden Darstellungen wiederum selbst wirtschaftlichen Erfolg schufen, weist Manova anhand der Entwicklung des Verlagsprogrammes des Leipziger Goldmann Verlags nach (S. 270).

Manova gelingt es in ihrem Buch stringent, verschiedene Rohstoffnarrative in der bedeutenden Umbruchzeit von Kohle auf Öl nachzuzeichnen. Dabei ist die Fokussierung auf die Zwischenkriegszeit nachvollziehbar, markiert diese doch den Zeitraum, in dem viele bis heute bestehende Narrative entstanden, vom Autofetisch bis zur Angst vor Rohstoffknappheit. Während Kohle bis heute ein „dreckiges“ Image hat, wandelt sich dies bei Erdöl erst im Zuge der Debatten über den Klimawandel, während Gas noch heute oftmals als „sauber“ gelabelt wird.

Trotz der umfassenden Darstellung literarischer Diskurse bleiben auch Leerstellen. Am augenfälligsten ist dies angesichts des weitgehend fehlenden Autarkiediskurses der Zwischenkriegszeit, der in bürgerlichen Kreisen und selbst in der Arbeiterklasse geführt wurde. Wie ein Elefant steht dieser in nahezu jedem Kapitel des Buches im Raum und wird doch erst im letzten Kapitel (S. 296) benannt, in dem es um Zischka und sein Buch geht. Ein zweiter Kritikpunkt, der weniger die Arbeit der Autorin als vielmehr die bei vielen Verlagen abnehmende Betreuung durch Lektor:innen angeht, betrifft den Schriftsatz. Das Einziehen einer Leerzeile mitten im Satz auf Seite 285 ist hier das auffälligste Beispiel.

Ein randständiger, aber umso verdienstvollerer Aspekt des Buches, der für den Belletristik-affinen Lesenden aber zentral ist, sind die vielfältigen Hinweise auf Werke der 1920er- und 1930er-Jahre. So weckt Manova das Interesse an Büchern, wie B. Travens Das Totenschiff von 1926 und Der Schatz der Sierra Madre von 1927 oder Upton Sinclairs Öl! (bezeichnenderweise 1927 im wegweisenden Malik-Verlag von Wieland Herzfelde auf Deutsch erschienen).

Anmerkung:
1 Die amerikanische Frauenrechtlerin Elizabeth Cady Stanton erklärte einst: „Woman is riding to suffrage on the bicyle.“ Ein Zusammenhang von Gleichberechtigung und Bewegungsfreiheit leuchtet für beide Beispiele ein. Vgl. Hedwig Richter, „Ein Geschenk der Revolution“? Historiographie, Geschlechtsordnung und die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland, in: Werner Rellecke / Susanne Schötz / Alexandra-Kathrin Stanislaw Kemenah (Hrsg.): Frauen in Sachsen. Politische Partizipation in Geschichte und Gegenwart, Dresden 2022, S. 67–84, hier S. 70.

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